Geschichte ist graue Vergangenheit ... die uns immer wieder einholt und heute noch definiert. Denn wenn wir auch gern dem Glauben frönen, dass wir frei und ungebunden unsere Existenz aufbauen, ist dies gerade bei einem traditionellen Familienweingut so ganz und gar nicht der Fall.
Schon öfters haben wir erwähnt, dass in Weinbergen in Generationen gedacht wird. Sehr spannend wird es, wenn diese generationsübergreifende Planung durch Kriege und familiäre Krisen zerschlagen wird.
Unser Weingut liegt nur ca. 20 km Luftlinie von der französischen Grenze entfernt. Heute können wir dank Europa locker sagen: »Oh, großartig, da kannst du schnell über die Grenze huschen und tollen Käse sowie echt französische pâtisseire kaufen.« Dieses luxuriöse Schwelgen in freundschaftlicher Nachbarschaft ist allerdings recht neu. Denn nicht nur im dreißigjährigen Krieg sondern auch im ersten und zweiten Weltkrieg lagen diese Gebiete teilweise direkt an der umkämpften Front.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Saarland (das zuvor französisch gewesen war) Deutschland zugesprochen, während das Elsaß (das zuvor deutsch war) Frankreich zugesprochen wurde. Dadurch entstanden skurrile Situationen. So gibt es heute noch Weingüter, deren Reben in Frankreich stehen, die aber (wenige Meter weiter) auf deutschem Grund und Boden keltern. Was gilt hier eigentlich für eine Ursprungsbezeichnung?
Nach dem Gesetz muss der Wein eines Winzers unter dem eigenen Dach ausgebaut werden. Aber gleichzeitig gilt das Lagenprinzip, sprich der Standort der Rebe ist entscheidend. Ist so ein Wein nun also ein französischer Wein? Oder ein deutscher Wein? Das ist eine echte Nuss, die tatsächlich jedes Jahr neu geknackt werden muss, denn es ist nicht so, als ob die deutsch-französische Bürokratie dafür ein für allemal eine Lösung parat stellen würde.
Doch zurück zur Kriegszeit. Wie lautet noch der irische Fluch? »Mögest du in interessanten Zeiten leben.« Unsere Oma Rosa Maria Barbara (die alle liebevoll Oma Rosmarie nennen) kann mit Fug und Recht behaupten, dass sie ausgesprochen interessante Zeiten hautnah erlebt hat.
Sie wurde als älteste Tochter in das renommierte Weingut Weidmann geboren, zu dem vor dem zweiten Weltkrieg ein Großteil der Weinberge in und rund um Weyher zählten. Ihr jüngerer Bruder Otto erlebte seinen Papa noch knapp drei Jahre, dann fiel der Vater im Krieg, kurz vor der Geburt des jüngsten Bruders Toni. Die Mutter starb im Kindbett, und so waren die fünfjährige Rosmarie, ihr dreijähriger Bruder Otto und der frisch geborene Säugling Toni Vollwaisen.
Foto: Küchenchefin Kristine mit Oma Rosmarie
Die Tante sprang ein, nahm die drei Waisen auf und zog sie in Weyher hoch. Das war mitten im Krieg und in der kargen Nachkriegszeit keine einfache Leistung. Tatsächlich ist es den Frauen des Dorfes zu verdanken, dass Weyher noch steht, denn die Panzersperren, die die Nazis aufbauten, um den Vormarsch der Alliierten zu stoppen, zerrten die Frauen in einer Nacht- und Nebel-Aktion von den Straßen, um die Schlacht nicht direkt vor der eigenen Haustür zu haben und ihre Dörfer vor der Zerstörung zu retten.
Vielleicht war es Not, vielleicht war es Gier, vielleicht das Gefühl, dass es eine gerechte Entlohnung für Geleistetes war … jedenfalls hat die Verwandschaft, die die drei Waisen aufgezogen hat, den größten Teil der Weinberge und den Standort des elterlichen Weinguts im Oberdorf verkauft, bevor die drei den Kinderschuhen entwachsen waren und ist mit dem Gewinn aus Weyher weggezogen.
Als Rosmarie, Otto und Toni das Ausmaß dieses Verkaufs erst viele Jahre später richtig realisierten, hing der familiäre Hausfrieden mehr als schief. Doch Rosmarie ist eine Kämpferin, eine beeindruckende Frau. Zusammen mit ihrem Mann Werner Graf hat sie das Weingut mit den wenigen verbleibenden Weinbergen am heutigen Standort wie wir ihn kennen, der Borngasse, neu aufgebaut. Bis vor wenigen Jahren arbeiteten sie und ihr Bruder Otto aktiv mit im Weinberg, nur der Jüngste, Toni, ist leider bereits 1989 verstorben.
Foto: Onkel Otto bei der Weinlese im Weinberg
Heute stolze 87 Jahre alt, ist unsere Oma immer noch eine starke Frau, die uns begeistert. Unser Weingut basiert auf der Leistung der Generationen vor uns. Wir sind uns dessen bewusst und sind dankbar für den unermüdlichen Fleiß, die Entbehrungen und die unglaubliche Zähigkeit, mit der sie und Onkel Otto Rückschläge aller Art, ob intern oder extern, weggesteckt haben.
Sind wir auch so zäh? Die Zeit wird es zeigen. Bis jetzt lebten wir in minder aufregenden Zeiten, Gott sei Dank, auch wenn Corona uns durchgerüttelt hat. Heute sind wir ein paar Kilometer von der Grenze entfernt und erinnern uns an die französische Vergangenheit höchstens ab und zu durch die Sprache. So sagen wir Pfälzer »Merci« statt »Danke« und »Trottoir« statt Fußgängerweg. Ein wenig weiter nördlich, im Rheinland, sagt man »Plümo« (von Plumeau) für Federbett. Und noch ein anderer Ausdruck stammt direkt aus der Nachkriegszeit: Französische Soldaten luden junge Mädchen gern ein, sie in ihrem Zelt zu besuchen, sprich »visiter ma tente«. Die Rheinländer haben das Ganze so angepasst, dass sie es auch aussprechen können und ermahnen heute noch junge Leute, keine »Fisimatenten« zu machen.
Und so leben wir heute, basierend auf Wurzeln die weit, weit zurückreichen – genau wie ein Weinstock, der seine Kraft tief aus dem Boden zieht. Ist das gut? Manchmal, das geben wir zu, schauen wir mit ein wenig Neid auf die Menschen, die amöben-artig leicht durch die Welt ziehen, frei von Geschichte, frei von Bindungen, wie es scheint. Doch dann kommt ein traditionelles Fest, das ganze Dorf ist auf den Beinen, alles trifft sich in Weyher, unserem Zentrum der Welt, alte Bekannte, neue Freunde aus aller Welt, so vertraut und doch ständig neu und plötzlich weiß man: Hier bin ich. Hier gehöre ich hin. Das ist meine Welt. Das sind meine Wurzeln. Mit Geschichte, die alles andere als grau ist.
Eure historisch verwurzelten Grafen
… eure Informationen rund um den Graf von Weyher sind immer sehr lesenswert und informativ
und
machen bisweilen auch Geschmack auf mehr …
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