Anders als in tropischen Ländern, ist unsere Pflanzenwelt auf die vier Jahreszeiten eingestellt … und wir, die wir im Rhythmus der Natur leben, haben daher in jeder Saison vollkommen andere Aufgaben. Heute wollen wir über die Kunst des Rebschnitts sprechen. Wenn wir der traditionellen Reihenfolge Winter, Frühling, Sommer, Herbst folgen, ist der Rebschnitt der erste Schritt, der zur neuen Ernte führt… und dieser Schritt hat es in sich!
Wir warten mit dem Rebschnitt, bis das Laub komplett abgefallen ist. Manchmal ist dies schon im November der Fall, manchmal im Dezember, definitiv im Januar. Dann nehmen wir uns das alte Holz vor: Das sind die langen Ruten, die wir in der vorhergehenden Saison gebogen hatten. Es wird auch einjähriges Holz genannt. Und genau hier beginnt die Kunst, denn so ein Winzer muss genau wissen, was zu tun ist, bevor die Schere eingesetzt wird. Dabei ist es übrigens egal, mit welcher unserer dreizehn Weinsorten wir anfangen (ganz anders als bei der Ernte).
Stell Dir vor, Du bist ein Winzer-Azubi und stehst das erste Mal so richtig im Weinberg. Als erstes erklären wir Dir das Werkzeug. Winzer nutzen drei Arten von Scheren:
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Die Schere für den Rebschnitt
(für das dicke einjährige Holz)
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Die Rebschere
(für Laubarbeiten & dünneres Holz, ganzjährig)
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Die Traubenschere
(ausschließlich für die Frucht! Wer sie für etwas anderes benutzt, bekommt einen besonderen Platz in der Hölle)
Die Schere für den Rebschnitt ist nicht ungefährlich, denn sie hat eine pneumatische oder elektrische Unterstützung, damit auch dickere Äste problemlos abgeschnitten werden können. Träumende Winzer kann man daher an fehlenden Fingern erkennen.
Hat der Winzer-Neuling verstanden, wie (vorsichtig) mit der Schere umgegangen werden muss, schneiden wir die ersten zehn Stöcke oder so (je nach Talent des Neuzugangs) gemeinsam ab. Dabei müssen wir uns bei jedem Rebstock folgende Fragen stellen:
1. Welche Qualität soll der spätere Wein haben?
Je höher die Qualität, umso radikaler der Rückschnitt. Bei den Reben, die später unseren Schoppenweine liefern sollen, lassen wir in der Regel zwei Ruten stehen. Die Reben, die Genussweine oder Premiumweine liefern sollen, dürfen nur eine Rute behalten. Jede Rute hat mehrere Augen, und aus diesen Augen entstehen später die neuen Triebe. Dieser Art von Schnitt nennt sich Fruchtrutenschnitt oder Guyot-Schnitt.
2. Wie ist die Lage des Weinbergs?
Hand aufs Herz – wisst Ihr sofort, wo Süden ist, egal, wo Ihr gerade seid? Wir Winzer müssen gerade beim Rebschnitt genau wissen, ob unsere Weinberge in einer Südlage (viel Sonne) oder Südwest-Lage (noch mehr Sonne!) liegen – und auf welcher Art von Boden wir gerade stehen! Denn wenn der Boden sehr hart ist, wie z.B. Granit oder Schiefer und der Weinberg dann noch in einer Hang-Südwestlage liegt, deutete alles auf eine große Trockenheit hin. In diesem Fall kann es am besten sein, dass wir zur Schonung der Rebe gar keine Rute stehen lassen. Diese Art von Schnitt nennt sich dann Cordon- oder Zapfenschnitt.
3. Welche Rebsorte ist es?
Zu viele Blätter, die zu eng um die Trauben sitzen, sorgen für mangelnde Entwicklung und ermöglichen einen schnellen Schädlingsbefall. Dazu gehört vor allem unser Erzfeind, der Mehltau. Daher müssen angehende Winzer wissen, was sie da eigentlich schneiden. Kompakte Traubensorten wie z.B. Spätburgunder und Weißburgunder haben häufig Doppelaugen. Hier muss eines der beiden Augen ausgebrochen werden, damit später ausreichend Luft bleibt.
4. Gibt es Schäden?
Wenn ein Sturm die Reben am Wickel hatte, ein Wildschwein sich intensiv den Rücken geschruppt hat oder Väterchen Frost die Reben teilweise hat erfrieren lassen, muss natürlich komplett anders geschnitten werden. Daher ist ein geschulter Blick ausgesprochen wichtig.
Das sind nicht wenige Aspekte, und genau darum gibt es bis jetzt auch kaum Automatisierungsmöglichkeiten.
Azubis erkennt man daran, dass sie mit gerunzelter Stirn vor den Weinreben stehen und auf der Unterlippe kauen, bevor sie zögerlich die Schere setzen. Profis hingegen spazieren fast ohne Anzuhalten durch den Weinberg, knipsen hier und da und sind in Nullkommanichts mit einer Reihe fertig.
Das alte Holz ziehen wir mühselig aus dem Drahtrahmen heraus und legen es auf den Boden. Für diesen Teil der Arbeit wird weniger Know-how benötigt. Es wird dann im Frühjahr untergemulcht und geht so in den natürlichen Kreislauf zurück.
Nach dem ersten Dutzend Rebstöcken werden unsere neuen Azubis alleine auf eine ganze Reihe losgelassen. Das sind je nach Lage ca. 200 bis 300 Rebstöcke. Im Anschluss besprechen wir das Ergebnis und korrigieren gemeinsam nach. Es wird also niemand so lange alleine gelassen, bis ein ganzen Weinberg abgeholzt wurde. Denn ein falscher Schnitt kann nicht wieder gut gemacht werden… man lebt gezwungenermaßen den Rest des Jahres damit.
Übrigens probieren auch erfahrene Winzer immer mal wieder neue Schnittmethoden aus. Denn so wie die Natur sich wandelt, müssen auch wir uns anpassen. Es lebe die Veränderung!
Eure schnittigen Grafen
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